INspiRE Jean-Monnet-Centre of Excellence - Rechtsprechungskomplexe: Alcan-Rechtsprechung
Alcan-Rechtsprechung
Im Alcan-Verfahren befasste sich das BVerwG mit der Vereinbarkeit von mitgliedstaatlichen Vorschriften zur Rückforderung von unionsrechtswidrigen Subventionen mit Gemeinschaftsrecht. Es ging dabei um die Rücknahme eines Bewilligungsbescheids und die entsprechende Rückforderung der gew?hrten Leistungen, die nach einer bestandskr?ftigen Entscheidung der EG-Kommission gegen Art. 92 EGV (heute Art. 107 AEUV) verstie?en und damit gemeinschaftsrechtswidrig waren. Konkret behandelte das BVerwG die Frage, ob die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG (mit dem Zweck der Gew?hrleistung des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit) und die Regelungen über den Wegfall der Bereicherung eine Rückabwicklung der Subventionsgew?hrung selbst bei gemeinschaftsrechtswidrigen Subventionen ausschlie?en.
§ 48 Abs. 4 VwVfG: ?Erh?lt die Beh?rde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zul?ssig. […]“
Die Rückforderung von Beihilfen findet grunds?tzlich nach Ma?gabe des einschl?gigen nationalen Rechts statt. Allerdings unter dem Vorbehalt, dass dessen Anwendung die gemeinschaftsrechtlich vorgeschriebene Rückforderung nicht praktisch unm?glich macht (effet utile). Der EuGH wurde zur Vorabentscheidung mit der Frage befasst, ob die zust?ndige nationale Beh?rde verpflichtet ist, einen Bewilligungsbescheid für eine (durch die Kommission bestandskr?ftig festgestellte) gemeinschaftsrechtswidrige Beihilfe selbst dann zurückzunehmen, wenn nach nationalem Recht bereits eine Ausschlussfrist verstrichen ist, die Rückforderung nach nationalem Recht also eigentlich nicht mehr durchgeführt werden kann.
Der EuGH bejahte eine Rücknahmeverpflichtung der nationalen Beh?rden in allen zur Vorabentscheidung vorgelegten Konstellationen. Die bisherige deutsche Rechtspraxis, also die uneingeschr?nkte Anwendung des § 48 Abs. 4 VwVfG auf europarechtlich determinierte Sachverhalte, sei indes europarechtswidrig. Soweit eine Rücknahme nach einem Jahr nicht mehr m?glich sei, sei der Grundsatz des effet utile verletzt.
Das BVerwG berücksichtigte das Urteil des EuGH und stellte fest, dass der EuGH seine Kompetenz nicht überschreite, wenn er Grenzen für das nationale Recht im Hinblick auf die Rückabwicklung gemeinschaftsrechtwidrig gew?hrter Subventionen festlege, die die Festsetzung von Ausschlussfristen und die Gew?hrung von Vertrauensschutz betreffen. Die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG sei daher für die Rücknahme gemeinschaftsrechtswidriger Subventionen unbeachtlich (?prim?rrechtskonforme Rechtsfortbildung“, effet utile). Zudem stellte das BVerwG fest, dass durch das Urteil des EuGH keine unverzichtbaren rechtsstaatlichen Grundrechtsgew?hrleistungen au?er Kraft gesetzt würden – insbesondere nicht der Vertrauensschutz. Insofern genüge der EuGH rechtsstaatlichen Anforderungen, wenn er feststellt, dass ein beihilfebegünstigtes Unternehmen auf die Ordnungsm??igkeit der Beihilfe grunds?tzlich nur dann vertrauen k?nne, wenn diese unter Einhaltung des vorgesehenen Verfahrens gew?hrt wurden.
Der deutsche Gesetzgeber hat es bis jetzt vers?umt aus der Entscheidung des EuGH Konsequenzen zu ziehen und eine Anpassung des § 48 Abs. 4 VwVfG vorzunehmen. (Anders als nach der Quelle-Entscheidung oder Fliesen-Entscheidung, siehe ebenfalls bei INspiRE)
N?her zur Alcan-Entscheidung und prim?rrechtskonformen Rechtsfortbildung vergleiche auch M?llers, Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. München 2019, § 12 Rn. 27 ff. Zur Anpassungspflicht des deutschen Gesetzgebers M?llers, Juristische Methodenlehre, § 12 Rn. 109 ff.
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Urteile
BVerwG, Urt. v. 23.04.1998, 3 C 15/97 – Alcan = 106, 328–338, ZIP 1998, 1393–1397, NJW 1998, 3728–3731, EuZW 1998, 730–733, BayVBl 1999, 22–25, NVwZ 1999, 63, DVBl 1999, 44–47, D?V 1998, 1067–1068
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EuGH, Urt. v. 20.03.1997, C-24/95, Slg. 1997, I-1591, EU:C:1997:163 – Land Rheinland-Pfalz/Alcan Deutschland GmbH
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