Das M?rchen vom M?rchen – Eine kultur- und literaturwissenschaftliche Untersuchung des deutschsprachigen jüdischen Volks- und Kinderm?rchens
Im September des Jahres 1905 verkündete die Titelseite der Zeitschrift?Wegweiser für die Jugendliteratur?ein Preisausschreiben, das zur Schaffung einer, dem Anschein nach, neuen deutschsprachigen jüdischen kinderliterarischen Gattung, eines jüdischen M?rchens in deutscher Sprache, aufrief. Dieses Preisausschreiben markiert den H?hepunkt eines Diskurses, der die Gattung M?rchen nicht nur als Lektüre für jüdische Kinder m?glich machte, sondern auch ein deutschsprachiges jüdisches M?rchen überhaupt theoretisch konstituierte. Ab diesem Zeitpunkt florierte das jüdische M?rchen geradezu; bis zur v?lligen Destruktion des jüdischen Buchwesens durch die Nationalsozialisten im Dezember 1938 entstanden jüdische M?rchensammlungen der verschiedensten Formen, religi?sen und politischen Str?mungen und Inhalte, fast alle waren sie an Kinder oder Heranwachsende gerichtet. Entgegen der Meinung einiger jüdischer Literaturp?dagogen der Zeit – und auch der bisherigen literaturwissenschaftlichen Forschung, die von einer "Traditionslosigkeit" des jüdischen Kinderm?rchens ausgeht, – waren diese Kinderm?rchen jedoch nicht die ersten jüdischen M?rchen in deutscher Sprache. Bereits im 19. Jahrhundert hatten jüdische Autoren und Wissenschaftler im Zuge der Wissenschaft des Judentums wie auch einer von Johann Gottfried Herder und den Brüdern Grimm angesto?enen "Volkspoesie-?ra" begonnen, altjüdische Texte und, wie gezeigt wird, auch jüdische Volksm?rchen zu "sammeln" und zu verschriftlichen.
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Die Untersuchung des deutschsprachigen jüdischen Volks- und Kinderm?rchens m?chte im Gesamten nicht nur eine literaturhistorische, sondern auch zeithistorisch relevante Antwort auf die Frage nach der Rolle und Funktion der Literatur in einer Gesellschaft und deren kollektiven Sinnwelten geben. Das jüdische M?rchen wird als eine nicht nur vergessene, sondern bisher überhaupt nicht wahrgenommene Dimension der deutschsprachigen M?rchenlandschaft Wissenschaft und ?ffentlichkeit erstmals vorgestellt – und dies nicht nur aus einem blo?en Erinnerungsgestus heraus, sondern als eine Bereicherung und Berichtigung der bisher einseitig dargestellten deutschsprachigen Volks- und Kunstm?rchentradition einer- und Ausdruck einer vielf?ltigen deutsch-jüdischen Kultur und Literatur andererseits. Die Dissertation versteht sich darin auch als ein Beitrag in der aktuellen Diskussion um das Werden und Entstehen (nationaler) Identit?ten und Kulturen innerhalb einer kulturell und religi?s heterogenen Gesellschaft. Am Beispiel der deutschsprachigen Judenheit wird untersucht, welche Rolle der Gattung M?rchen, insbesondere dem M?rchen für Kinder, in der Konstituierung nationaler, religi?ser und kultureller Gefüge zukam, welche Funktion es im Emanzipationsdiskurs sowohl der Kindheit gegenüber dem Erwachsensein als auch der jüdischen Kultur gegenüber der deutschen einnahm.