Tagungsbericht
Am 11. Juli 2022 wurde der sechste Tag der Europ?ischen Kulturgeschichte (EKG) – erstmals im hybriden Format – in den R?umlichkeiten des Instituts zum Thema ?Kultur- und Wissensgeschichte des Wassers“ mit interdisziplin?ren Vortr?gen begangen. Nach einer kurzen Einführung des gesch?ftsführenden Direktors des Instituts Lothar Schilling er?ffnete Jens Soentgen (Augsburg) die Veranstaltung mit einem Vortrag, wie Wasser im Alltag vermarktet wird. Unter anderem kam das weitl?ufige Image zur Sprache, deutsches ?sprudelndes“ Mineralwasser zeichne sich durch seine natürliche Qualit?t aus, obwohl es unabh?ngig von seinen Ursprungsquellen industriell mit Kohlstoffdioxid versetzt ist. Am Beispiel der Augsburger Wassergewinnung und -versorgung dekonstruierte Soentgen die Idealvorstellung der naturnahen Nutzung des Lechs. Ihm ging es um die Fokussierung der historischen Forschungen auf das positiv wahrgenommene Entstehen der ?kologischen Augsburger Trinkwassersysteme, die das nicht sonderlich nachhaltige Abwassersystem bislang ebenso au?er Acht lie?en wie die künstliche Wasserführung des Lechs in die Stadt hinein. W?hrend die Personifikation des Lechs am Augustusbrunnen die antike Vorstellung von Flüssen als Richter und Despoten reproduziert, verdeutlichte Soentgen, wie der Lech über die Epochen hinweg als ?Nutztier“ der Augsburger Bewohner und Industrie domestiziert wurde, indem man den Fluss zuerst im künstlich angelegten Forggensee ansammelt und ihn bis nach Augsburg ca. 24-mal aufstaut. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts dient dies den heutigen Stadtwerken zur Stromgenerierung. Der Forggensee übertrage den ?wilden‘ Lech in gesellschaftliche und kommerzielle Rhythmen, für die die Stadt Augsburg willentlich – trotz angestrebter Renaturierungsprojekte – damit einhergehende Umweltsch?den, wie sukzessive durch Wassererw?rmung aussterbende Fischarten, in Kauf nimmt.
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Lothar Schilling und Ulrich Niggemann (beide Augsburg) führten im Anschluss neue Forschungsperspektiven für das Institut zu einer Umweltkulturgeschichte des Wassers aus, wobei der kulturelle Umgang mit Wasser in der Geschichte im Mittelpunkt stehen soll. Welches Wissen und welche Techniken lassen sich im Umgang mit Wasser rekonstruieren und welche historischen Vorstellungen von Wasser, beispielsweise mit Blick auf Antikenrekurse sind erkennbar? Wassergeschichte ist immer als Kulturgeschichte zu verstehen, weil die vielf?ltigen Facetten des Umgangs mit Wasser kulturell gepr?gt sind. Dabei kann es u.a. um Wasser als Ressource gehen, um Resilienz und um Vulnerabilit?t. Exemplarisch verglichen Niggemann und Schilling vormoderne Deutungen von Wasser anhand Johann Heinrich Zedlers enzyklop?dischem Lexikon und der Encyclopédie Diderots. W?hrend sich das Wasser-Lemma im Zedler durch theologisch-religi?se Wissensst?nde auszeichnete und ein Konglomerat aus biblischen, antiken und naturwissenschaftlichen Deutungen von Wasser in einer erdgeschichtlichen Theorie bot, beinhaltete die Encylopédie eine verst?rkt pharmazeutisch-medizinische Definition und pr?sentierte einen naturwissenschaftlich-technischen Zugriff auf Wasser, der biblische Deutungen ausblendete. Abschlie?end stellten sie ?berlegungen an, wie sich Wissensordnungen zu Wasser systematisieren lie?en und verwiesen auf die vielf?ltige Nutzung von Wasser in der Frühen Neuzeit, nicht zuletzt für die herrscherliche Selbstdarstellung vom K?nigspalast in Benin.
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Exemplarisch zeigte Nicolas Liebig (Augsburg), wie sich das System der Augsburger Stadtwaldb?che historisch entwickelte. Inhaltlich schloss er damit an Soentgens ?berlegungen zur Nutzung des Lechs an, indem er darlegte, wie die insgesamt 170km umfassenden B?che auf Basis der natürlich vorhandenen Lechgerinnen künstlich angelegt wurden, um ihr Wasser für die Stadt nutzbar zu machen. Liebig betonte, dass es sich bei den Stadtwaldb?chen um wichtige historische Kulturlandschaften handelte und zeigte anhand historischer Karten aus dem 17. Jahrhundert, wie vielf?ltig diese B?che damals schon genutzt wurden. Anhand pr?ziser frühneuzeitlicher Karten belegte er, dass das B?chesystem historisch gewachsen ist und gr??tenteils bis heute besteht. Andererseits pr?sentierte er für einzelne B?che mittels weiterer Karten die durch Menschen vorgenommenen Ver?nderungen des Bachsystems von 1912 bis 2015, um auf verschiedene umweltliche Problemlagen zu reagieren, etwa wenn das Grundwasser absank. Die rege Diskussion im Anschluss an die ersten drei Vortr?ge verdeutlichte das Forschungspotenzial des Themas und den Nutzen des Ansatzes, in historisch langen Perspektiven die Wasser- und Naturnutzung zu erschlie?en. Ebenso k?nne mit Vergleichen der Situation in verschiedenen L?ndern, aber auch etwa anhand der Frage nach der kolonialen Nutzung von Wasser zur Landgewinnung, unterschiedliche Formen der Zuschreibung von Nützlichkeit an die Natur untersucht werden.
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Den zweiten Teil er?ffnete Christian Wieland (Schw?bisch-Gmünd) mit der Vorstellung eines Forschungsprojekts zu Wasserkulturen und territorialer Herrschaft im Europa des 17.?Jahrhunderts. Er verglich die bürokratischen Institutionen im Umgang mit Hydraulik und Wasser im Kirchenstaat, im Kurfürstentum Brandenburg sowie im K?nigreich England, wodurch er drei unterschiedliche Herrschaftsformen zueinander in Bezug setzte und im Spannungsfeld zwischen den Interessenslagen der Monarchen, der p?pstlichen Kurie, der Adeligen und der Landbev?lkerung untersuchte. Für Rom stellte er anhand der Protokolle der Wasserkongregation heraus, wie der Kirchenstaat die st?dtische Zentrale sukzessive zurückdr?ngte und die Besetzung der Architekten- und Expertenstellen übernahm. Die Protokolle bieten einen Einblick, wie Adhoc-L?sungen für fluviale Problemlagen gefunden werden mussten. Am Beispiel der Herz?ge von Este und Ferrara zeigte er, wie der Herzog mit Erfahrungswissen argumentierte, um hydraulische Projekte anderer verhindern, wenngleich er es nicht schaffte, seine eigenen umzusetzen. Sowohl in Italien als auch in England versuchten sich Ingenieure durch Denkschriften zu hydraulischen Bew?ltigungsvorschl?gen in Debatten zu inszenieren. In England mussten sich die commissions of sewers, zusammengesetzt aus gentlemen der jeweiligen Grafschaft, mit den hydraulischen Problemen, aber auch mit sabotierenden Bauern auseinandersetzen. Anders als in Italien handelte sich in England um eine ?ffentlich geführte und weniger akademisch gepr?gte Debatte, weil die gentlemen keine Experten, sondern Laien waren. Für das bislang nur wenig unter hydraulischen Gesichtspunkten untersuchte Brandenburg stellte Wieland die These auf, dass praktisches Wasserwissen als Importprodukt aus den Niederlanden eingeführt wurde, um etwa die Flüsse um Halberstadt schiffbar zu machen. Die Hydraulik – so Wieland – war ein wichtiger Bestandteil frühneuzeitlicher Infrastrukturen und Bürokratisierung und wurde jeweils sehr unterschiedlich im Verh?ltnis zwischen Handwerkern, Fachleuten und Ingenieuren ausgehandelt.
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Davide Martino (Cambridge) stellte die These vor, unter dem Analysebegriff des hydraulic philosophers verschiedene Akteure vergleichend zu untersuchen, die in europ?ischen Wasserst?dte wie Amsterdam, Florenz und Augsburg sich in hydraulischen Berufen bet?tigten. Nach einer kurzen Einführung zu gatekeepers in der Erforschung wasserbaulichen Wissens besch?ftigte er sich prim?r mit der Frage nach einer diesbezüglichen Expertise. W?hrend gatekeepers wie Giovanni Tozzetti (1712-1783) und Hendrik Jacobi (1833-1892) auf unterschiedlichste Weise versuchten, das Flusswasser in Florenz durch Wasserumleitungen unter Kontrolle zu bringen, entwickelten experts wie Willem de Raet (1537-1583) mit Hilfe von Pumpen Bew?sserungssysteme für die florentinische loggia della signori, um diese trotz ihrer h?her gestellten Lage bew?ssern zu k?nnen. Andere Akteure wie Pilgram Marpeck (1495-1556) und Giuliano Ciaccheri (1644-1705) versuchten, Ger?te zur Erfassung der Durchlaufgeschwindigkeit von Wasser zu entwickeln. Obwohl alle Akteure im gleichen Umfeld t?tig waren, nutzten sie durchweg andere Berufsbezeichnungen, Marpeck und Ciaccheri bezeichneten selbst etwa als Mathematiker. Deshalb argumentierte Martino, sie übergreifend als hydraulic philosophers zu benennen, die sich auf unterschiedlichste Art mit der Konzeptionalisierung von Wasser befassten.
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Abschlie?end stellte Simone Müller (München) ihr umweltkulturhistorisches Projekt zur Wasserverschmutzung vor und überführte den Tag der EKG chronologisch nicht nur von der Frühen Neuzeit in die Zeitgeschichte, sondern auch vom Fluss zum Meer. Sie veranschaulichte historische Wasserverschmutzung am Beispiel der amerikanischen C.H.A.S.E operation in den 1960-70ern, als die U.S. Navi mehrere veraltete Milit?rfrachter mit toxischen Ladungen in internationalen Gew?ssern versenkte, wodurch sie sich sowohl unerwünschten Materials als auch der Schiffe selbst entledigte. Die letzte der 13 Operationen gelangte jedoch an die ?ffentlichkeit, was eine Debatte über das Handeln der Verantwortlichen ausl?ste. Das Meer, so Müller, sei schon immer eine universelle Abfalldeponie der Welt gewesen. Dies führte sie auf die zwei kathartischen Charakteristika des Wassers, Fluidit?t und Undurchsichtigkeit, zurück. Einerseits schlucke das flüssige Meer jegliche gef?hrlichen Gegenst?nde und verdünne aufgrund seiner Gr??e die Gefahr, was die Welt etwa von versenkten Giftgasladungen ?reinige‘. Andererseits biete das Meer einen perfekten Ort, um sich von Dingen unwiederbringlich zu befreien, weil sie in seiner Undurchsichtigkeit versinken. Das Meer stelle den Nicht-Ort zum Land dar, weil es dieses aufgrund seiner Eigenschaften von allem ?bel reinhalte. Erst seit den 1960ern lie?e sich eine zunehmende gesellschaftliche Wahrnehmung der Wasserverschmutzung feststellen, die dem Mythos vom reinen Wasser entgegenwirkt. Inhaltlich schloss Müller somit den Bogen zum Er?ffnungsvortrag. Auch an diesen drei Vortr?ge schloss sich eine rege Diskussion über das heuristische Potenzial der Untersuchung von Wasserorganisation- und -management, zur Nicht-Staatlichkeit des Meers als eine Art ?rechtsfreien‘ Raum und zum Vergleich der Wasser- mit Luftverschmutzung an.
Stephanie Bode
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Programm
13.30 Uhr Beginn
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Impulsvortrag
Auf ein Glas Wasser
Jens Soentgen (Augsburg)
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Wasserwissen. Forschungsperspektiven für das IEK
Ulrich Niggemann/Lothar Schilling (Augsburg)
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B?che und Kan?le im Stadtwald Augsburg und deren kulturhistorische Bedeutung
Nicolas Liebig (Augsburg)
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Diskussion
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15.15 Uhr Kaffeepause
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Wasserkulturen im Europa des 17. Jahrhunderts. Hydraulik und territoriale Herrschaft
Christian Wieland (Schw?bisch-Gmünd)
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Experte und Ingenieur: die Figur des Wasserphilosophen in frühneuzeitlichen St?dten
Davide Martino (Cambridge)
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?Das Meer w?scht alles ?bel vom Menschen ab“? Eine Kultur- und Umweltgeschichte der Wasserverschmutzung
Simone Müller (München)
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17.15 Uhr Schlussdiskussion